Sarajevo – Pale


Quelle: Der Wiener Lloyd

In seinem Roman “Die Brücke über die Drina” erzählt Ivo Andrić die wechselhafte Geschichte vom oft schwierigen Zusammenleben unterschiedlicher Völker und Religionen in der ostbosnischen Stadt ViÅ¡egrad. An der Schnittstelle von Orient und Okzident gelegen, stellt Andrić die alte Brücke der Stadt in den Mittelpunkt seiner Chronik. Während die Welt um sie stets im Wandel begriffen ist, überdauert die Brücke als Symbol für die Überwindung der Kluft zwischen einzelnen Menschen und Völkern die Jahrhunderte.

Als ich letzte Woche im Rahmen meines Besuchs beim Sarajevo Film Festival entlang der Trasse der ehemaligen Bosnischen Ostbahn unterwegs war, musste ich zwangsläufig an die Brücke aus Ivo Andrić’ Roman denken. Im Jahr 1906 eröffnet, verband die Bosnische Ostbahn einst Sarajevo mit der Grenze Österreich-Ungarns zu Serbien. Von 1928 bis zuletzt in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts verkehrten auf dieser Strecke durchgehende Personenzüge von Sarajevo nach Belgrad. Ist man heute entlang des wunderschönen ersten Abschnitts der ehemaligen Bahnstrecke von Sarajevo nach Pale unterwegs, so sieht man keine Schienen und Züge mehr. Die Geschehnisse der Neunziger Jahre haben die Menschen in Sarajevo und Pale zu Feinden gemacht. So wie die Sprengung der ViÅ¡egrader Brücke am Ende von Ivo Andrić’ Roman, scheint auch der Abriss der einst die Völker verbindenden Bahnstrecke ein Vorbote trauriger Veränderungen gewesen zu sein.

Während die Brücke in ViÅ¡egrad heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist und wieder Menschen aus aller Welt zusammenbringt, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis auch die Menschen in Sarajevo und Pale wieder zusammenfinden – mit oder ohne Bahnstrecke.

[Flickr-Album: Sarajevo – Pale (Juli 2011)]
[Fotoreportage im Eisenbahnforum Österreich]

Bogdan Bogdanović (1922 – 2010)

Bogdan Bogdanović
Quelle: Osservatorio Balcani e Caucaso

Europa verliert einen ganz Großen! Der Urbanologe, Schriftsteller und ehemalige Belgrader Bürgermeister Bogdan Bogdanović ist heute 87-jährig in einem Wiener Spital verstorben.

Bogdan Bogdanović wurde am 20. August 1922 in Belgrad geboren. Nach dem Studium der Architektur und einer raschen akademischen Karriere stieß er mit seinen progressiven Lehrmethoden sehr bald an die Grenzen des jugoslawischen Universitätsbetriebs. Von der Partei zum Rücktritt gezwungen, kehrte er der Belgrader Universität den Rücken und gründete 1976 in Mali Popovic, unweit von Belgrad, eine “Dorfschule für die Philosophie der Architektur”.

Von 1982 bis 1986 war Bogdanović Bürgermeister von Belgrad. Nach dem Machtantritt von Slobodan Milošević und, damit verbunden, dem sich ausbreitenden Nationalismus war Bogdanović zunehmend öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt. 1993 musste der politisch Bedrohte seine Stadt, musste er Belgrad endgültig verlassen. Seitdem lebte er als Dissident in Wien.

Als Architekt war er vor allem durch die zahlreichen Denkmal-Bauten bekannt geworden, die er im gesamten Jugoslawien errichten ließ. Zwischen 1952 und 1981 entwarf Bogdan Bogdanović mehr als 20 Denkmäler und Gedenkstätten gegen Faschismus und Militarismus.

Ich persönlich verdanke Bogdan Bogdanović zu einem großen Teil meine Liebe zu Urbanistik und Architektur. Sein Text Vom Glück in den Städten gehört für mich zu den wichtigsten Büchern, die ich je gelesen habe. Städte zu lesen, das war für Bogdanović ein sinnlich-poetischer Vorgang: die Architektur atmen, den Erinnerungen der Bewohner lauschen, den Mythen der Geschichte nachspüren.

Und all das stets zu Fuß oder, wie er es nannte, nach der “Johnnie-Walker-Methode”.

[Ö1: Bogdan Bogdanovic gestorben]
[NZZ: Eros und Thanatos]
[Osservatorio Balcani e Caucaso: Il secolo di Bogdanovic]

Kollaboration und Politik

1980: Ökologie. 2009: Internet. So prägnant und treffend hat der deutsche Journalist, Blogger und Podcaster Philip Banse letzte Woche in einem Tweet jene gesellschaftspolitische Entwicklung zusammengefasst, die in den letzten Monaten zu beobachten ist. Es geht um den Wandel der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Besonders deutlich zum Ausdruck gekommen ist dieser Wandel im Rahmen zweier Themen: der deutschen Zensursula-Debatte und dem Prozess der Grünen Vorwählerschaft in Wien.

Im Januar 2009 gab die Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt, dass die deutsche Bundesregierung plant, in Zusammenarbeit mit den großen Internetprovidern und durch den Einsatz einer Sperrliste den Zugriff auf kinderpornographische Inhalte einzuschränken. Greift ein Internetbenutzer auf eine Webseite zu, deren DNS-Name sich auf dieser Sperrliste befindet, wird ihm ein Stoppschild mit verschiedenen Warnhinweisen angezeigt; mit einem weiteren Klick gelangt er dennoch zur ursprünglich aufgerufenen Seite.

… es wäre so, als ob man die Straße zu einem Banküberfall sperrt, statt dass die Polizei zur Bank fährt.

Mit solchen Vergleichen (hier aus einer bei einer Demonstration, die am 20. Juni in Berlin stattgefunden hat) versucht die Internetgemeinde zu veranschaulichen, welch absurden Prozess die geplante Filterung der Webseiten darstellt. Durch bloßes Ausblenden wird Kinderpornographie nicht verhindert, sondern toleriert. Warum verfolgt die Exekutive die Anbieter dieser Inhalte nicht? Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur hat gezeigt, wie einfach das sein kann1. Ist die Kinderpornographie nur ein Vorwand um im Internet ungehindert eine Zensurinfrastruktur errichten zu können?2

Interessant ist nun, wie sich der Widerstand gegen die geplanten Zensurmaßnahmen organisiert hat. Während die etablierten Oppositionsparteien aus Angst, sie würden dadurch in der öffentlichen Darstellung in ein pädophilenfreundliches Eck gedrängt, davor zurückgeschreckt sind, sich eindeutig zu deklarieren, formierte sich im Internet unter dem Schlagwort „Zensursula“ der Widerstand. Soziale Netzwerke wurden als Diskussionsplattform und zur Organisation verschiedener Gegenmaßnahmen genutzt. In einer Petition gegen Internetsperren sprachen sich über 130.000 Menschen öffentlich gegen die geplanten Maßnahmen aus.

Eine ähnliche Bewegung abseits der institutionalisierten Politik ist im Rahmen der Grünen Vorwahlen auch in Wien zu beobachten. Auf Initiative von Jana Herwig, Helge Fahrnberger und Martin Schimak gestartet, basiert die Idee der Grünen Vorwahlen auf einem Statut der Wiener Grünen, demzufolge erklärte Unterstützer und Unterstützerinnen der Partei nach Viermonatsfrist ein Stimmrecht auf Landesversammlungen erhalten. Ziel ist es, die Grünen zu öffnen und möglichst viele Sympathisanten zu motivieren im November 2009 bei der Wahl der Liste für die Gemeinderatswahl 2010 teilzunehmen. „Damit dann die „Besten“ und „Fähigsten“ im Landesparlament sitzen.“ (Quelle).

Spannend ist nun, welche Reaktionen die Grünen Vorwahlen ausgelöst haben. Anstatt sie als große Chance zu erkennen, befürchten Teile der Wiener Grünen offensichtlich eine feindliche Übernahme der Partei. Dies ist insofern mehr als nur traurig, da die Wiener Grünen mit dem Unterstützungsstatut auf eine Entwicklung vorbereitet wären, die meiner Meinung nach das Potential hat, die politische Entscheidungsfindung in den nächsten Jahren von Grund auf zu revolutionieren.

In diesem Kontext kommt dem Kommunikationsdienst Twitter eine besondere Rolle zu. Anders als die zahlreichen interaktiven Freundschaftsbücher, die sich vor allem dadurch auszeichnen die bestehenden Dienste des Web (Mail, Instant Messaging, Fotogalerien, etc.) zu integrieren, hat Twitter ein neues Paradigma der Internetkommunikation etabliert. Erstmals steht eine Plattform zur Verfügung, bei der die publizierten Inhalte und deren Kommentare (anders als z.B. bei Weblogs) den gleichen Stellenwert einnehmen. Anders als bei einem Chat sind die Diskussionsbeiträge persistent, d.h. verlinkbar. Diese und weitere Eigenschaften (Kürze der Inhalte, mobile Nutzung, etc.) sind es, die Twitter zu einem optimalen Werkzeug zur Abwicklung kollaborativer Entscheidungsprozesse machen.

Bereits seit geraumer Zeit existieren im Internet Dienste, deren Stärke auf der Mitarbeit vieler einzelner Personen beruht. In einem Vortrag erklärt Clay Shirky anschaulich, welche Stärken kollaborative Systeme im Unterschied zu institutionalisierten Arten der Zusammenarbeit haben. Eindrucksvoll lässt sich dies beispielsweise am Beispiel Flickr illustrieren. Der größte Teil der Bilder auf Flickr wird nicht von professionellen Fotografen erzeugt, wie sie etwa bei klassischen Nachrichtenagenturen beschäftigt sind. Es sind die Bilder derjenigen, die mit ihrer Kamera zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, die die Qualität von Flickr ausmachen. Wollte man mit einer klassischen Institution eine ähnliche Qualität erreichen, würde dies die Kosten für deren Organisation ins Unermessliche steigen lassen. Ähnliche Beispiele sind die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die Videoplattform YouTube oder die zahlreichen Open Source-Softwareprojekte.

Was wir nun im Rahmen politischer Initiativen wie der Zensursula-Debatte oder den Grünen Vorwahlen erleben, ist der Einfluss, den der Siegeszug kollaborativer Systeme auf politische Entscheidungsprozesse hat. Anders als bisher, ist es zur Erreichung politischer Ziele heute nicht länger nötig, sich parteipolitisch zu engagieren. Plattformen wie Twitter ermöglichen es, Interessensgruppen kollaborativ zu organisieren. Institutionen wie Parteien oder ähnliche Interessensvertretungen verlieren an Bedeutung. Jeder Bürger hat nun die Möglichkeit, sich aktiv für jene Themen einzusetzen, die ihm am Herz liegen.

Im Kontext dessen sollte es im Interesse der etablierten Parteien sein, jene Bewegungen zu unterstützen, die dazu beitragen möglichst viele Bürger in die politische Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.

1980: Ökologie. 2009: Internet. 1980 sind auf Basis der ökologischen Bewegung die Grünen Parteien entstanden. 2009 wird es keine neue Institution mehr sein – auch nicht die Piratenpartei. Vielmehr stehen wir an der Schwelle zu einer gänzlich neuen Form der Zusammenarbeit innerhalb unserer Gesellschaft. Spannende Zeiten!

1 Dieser Aspekt ist nur einer von vielen, die gegen die Notwendigkeit von Zensurmaßnahmen sprechen. Eine Zusammenfassung der Argumente gegen die Netzsperren findet sich beispielsweise in einem Netzpolitik-Artikel von Lutz Donnerhacke.
2 Erfahrungen aus anderen Ländern legen diese Vermutung nahe. Auf der dänischen Sperrliste findet sich z.B. die URL einer niederländischen Spedition.

[AK Zensur: Löschen statt verstecken: Es funktioniert!]
[Lutz Donnerhacke: Die dreizehn Lügen der Zensursula]
[Christian Stöcker: Die Generation C64 schlägt zurück]
[Medienradio: MR005 Zurück ins Netz!]
[Clay Shirky: Institutions vs. Collaboratio (Video)]

Archipelago Europe

Karl Schlögel über das, was unser Europa wirklich ausmacht – ein Auszug aus seinem Buch “Marjampole – Oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte”.

High-speed routes. Europe is being manufactured year by year, month by month, and day by day. Movement, which holds it together, is its basic mode. If movement were to fail, even for a short time, Europe would disintegrate into its component parts. The manufacturing of Europe can best be observed at certain locations: airports, motorways, and high-speed railroads. The high-speed connections turn big Europe into a small continent. The borders of individual states are crossed before the TGV really gets going. The nation state is too small for high-speed trains.

[Eurozine: Archipelago Europe]
[Perlentaucher: Marjampole – Oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte]

Grenzkickerl – Futbal na hraniciach, 2.6. Berg/Bratislava

Titelblatt

Im Rahmen des Viertelfestival Niederösterreich – Industrieviertel 2007, das in diesem Jahr unter dem Motto “grenzen.los” steht, finden auch zahlreiche grenzübergreifende Projekte statt. So wandelt etwa das Projekt “Keine Verbindung/Bez Spojenia” auf den Spuren der 1914 eröffneten Pressburgerbahn.

Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt ist das, unter dem Titel “Grenzkickerl/Futbal na hraniciach” stattfindende Fußballmatch, das am 2. Juni auf einem Spielfeld auf (!) der österreichisch-slowakischen Staatsgrenze – quasi die Grenze als Mittellinie – ausgetragen wird.

Das Projekt ist eine grenzüberschreitende künstlerische Intervention im öffentlichen Raum. Sie findet zugleich in Österreich und der Slowakei statt. Ein Land-Art-Projekt, das von jedem benutzt werden kann. Ein temporäres Experiment, das möglichst lange bestehen soll. Ein künstlerischer Kommentar zur Sinnhaftigkeit von Grenzen …

[Viertelfestival Niederösterreich – Industrieviertel 2007]
[Grenzkickerl/Futbal na hraniciach]
[Keine Verbindung/Bez Spojenia]

Eine Citytram für Wien!

Karte Citytram
Quelle: tramway.at

Schon mal überlegt, warum es in Wien zwar eine U4 wie auch eine U6, jedoch keine U5 gibt? Die Antwort ist einfach: Sie wurde zwar geplant, jedoch nie gebaut. Als Alternative zu dieser, Hernals via Zweierlinie mit dem Wienerberg verbindenden Linie wurde, forciert von den Wiener Grünen, bereits vor einigen Jahren ein Alternativvorschlag vorgelegt: die Wiener Citytram.

Hinter diese Idee verbirgt sich ein, im Vergleich zum Bau einer U5, einfaches und kostengünstiges Projekt, das dennoch eine direkte Verbindung zwischen Wiens Nordwesten und der Gegend rund um den Wienerberg herstellen würde. Die neue Strecke würde die aus der Währinger Straße kommenden Straßenbahnlinien 38, 40 und 41 mit den zur Zeit bei der Oper und am Schwarzenbergplatz endenden Linien 62, 65 und 71 verbinden. Realisiert könnte dies mithilfe eines Tunnels werden, der die Station Schottentor via Herrengasse mit der Wiedner Hauptstraße und dem Schwarzenbergplatz verbindet. Nach modernen U-Bahn-Richtlinien ausgeführt, würde dieser Tunnel nicht nur große Teile des Stadtgebiets direkt miteinander verbinden, sondern durch neue Stationen, etwa bei der Albertina oder am Kohlmarkt, auch die Nahversorgung der Wiener City erheblich verbessern. Darüber hinaus ergäben sich auch durch die Miteinbeziehung der, heute ebenfalls bei der Oper endenden, Badner Bahn interessante Möglichkeiten.

Nicht zuletzt sollte man sich auch vor Augen führen, welche indirekten Vorteile sich durch den Verzicht auf eine U5 zugunsten der Citytram ergeben würden. So würde die Errichtung einer U5 mit Sicherheit mit einer Zerstörung der Straßenbahn-Netzdichte im Nordwesten Wiens einhergehen – so wie dies auch schon bei der Errichtung anderer U-Bahnlinien in anderen Teilen der Stadt passiert ist (und auch jetzt bei der Verlängerung der U2 wieder passiert). Damit ginge für noch mehr Menschen der direkte Zugang zu einer Haltestelle verloren. Eine Tatsache, die besonders alte und behinderte Menschen in ihrer Mobilität sehr einschränkt.

[via tramway.at]

Osteuropäische Sprachen

Titelblatt
Quelle: Amazon

Im Rahmen der “Enzyklopädie des Europäischen Ostens” hat der, für die hohe Qualität seiner Veröffentlichungen bekannte, Kärntner Wieser-Verlag einen Band auch den Sprachen dieses riesigen Kulturraums gewidmet. Das von Milos Okuka zusammengestellte “Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens” steht auf den Seiten der Alpen-Adria Universität Klagenfurt auch online zur Verfügung.

[Link]

Realitätsverweigerung made in U.S.


Quelle: backspace.com

Auf der Webseite der Newsweek sind die Titelblätter der verschiedenen “Regionalausgaben” des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins zu sehen. Während für die europäische, die asiatische und die lateinamerikanische Ausgabe ein Artikel mit dem Titel “Losing Afghanistan” zur Topstory auserkoren wurde, ist auf dem Titelbild der US-Edition eine Frau mit ihren drei Kindern zu sehen: “My Life in Pictures” (Screenshot).

[via Fefe]

Subjektive Karten

La carte géographique n’est pas le territoire. Elle en est tout au plus une représentation ou une « perception ». La carte n’offre aux yeux du public que ce que le cartographe (ou ses commanditaires) veut montrer. Elle ne donne qu’une image tronquée, incomplète, partiale, voire trafiquée de la réalité. Voilà de quoi sonner le glas des illusions de cette partie du public qui lit la carte comme un fidèle reflet de ce qui se passe sur le terrain.

Anlässlich der Erscheinung des neuen Atlas der Globalisierung findet sich in der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique ein wunderbarer Artikel von Philippe Rekacewicz: La cartographie, entre science, art et manipulation. In der deutschen Ausgabe ist der Artikel unter dem Titel Der Kartograf und seine Welten erschienen.

Anhand zahlreicher Beispiele beschreibt Rekacewicz die politische Bedeutung von Landkarten. So kam es beispielsweise im Jahr 2002 auf einer Wirtschaftskonferenz in Prag zu regelrechten Tumulten, als dem aserbaidschanischen Vertreter eine Karte vorgelegt wurde, in der Bergkarabach als Teil Armeniens eingezeichnet war. Erst nach einigen Stunden konnten die Verhandlungen fortgesetzt werden.

Bei der Umweltministerkonferenz der UN im Februar 2001 unterbrachen die Vertreter der Volksrepublik China eine Plenarsitzung und verließen vor den ungläubig staunenden Delegierten den Saal. Sie boykottierten die weiteren Verhandlungen, weil Taiwan auf einer Karte und in einem Arbeitspapier als unabhängiger Staat auftauchte. Und sie kehrten erst wieder zurück, nachdem die beanstandeten Dokumente aus dem Verkehr gezogen waren.

Karten lügen (immer)! So lässt sich der Schluss Rekacewicz’ zusammenfassen. Sie lügen, weil sie, schon allein aufgrund der geographischen Verkleinerung, bestimmte Details verschweigen. Oft ist es aber auch nur politisches Kalkül, wenn Karten nicht den geographischen Tatsachen entsprechen. So schildert Philippe Rekacewicz etwa eindrucksvoll, mit welchen Überaschungen er und einige andere französische Kartographen konfrontiert waren, als sie nach dem Mauerfall 1989 Ostdeutschland besuchten.

Zu unserer Orientierung hatten wir nur ein paar alte topografische DDR-Karten. Aber die waren so falsch, dass wir so gut wie nichts von dem, was wir vor Augen hatten, auf ihnen wiedererkannten. Auf einem zehn bis zwanzig Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze fehlten alle wesentlichen geografischen Bezeichnungen – Straßen und Dörfer, ja die gesamte Infrastruktur, alles, was auch nur irgendwie der Orientierung hätte dienen können.

Andere Karten hingegen lügen nicht, weil sie verscheigen, sondern weil sie verfälschen. So sind Karten heutzutage ein sehr beliebtes Machtinstrument. Die “… heutigen Mächte in Wirtschaft und Politik – Staaten, große Lobbygruppen, internationale Konzerne und Organisationen – bedienen sich ihrer umstandslos, arrangieren hier und da die Wirklichkeit, um ihre Macht zu festigen oder uns ihre Sicht der Dinge einzuprägen”. Und nicht zuletzt spiegeln Landkarten natürlich auch die sehr verschiedenen Weltanschauungen wieder.

Betrachtet man die Afrikakarten, insbesondere die in Europa produzierten, fallen als dominierende Farbeindrücke ein sanftes Ockergelb und ein Dunkelgrün auf: die trockene, staubige Savanne und der dichte Regenwald auf Äquatorhöhe. Ein Gang über den Markt von Ouagadougou oder Bamako genügt jedoch, um den tatsächlichen Farbenreichtum Afrikas zu erfassen. Ein Lehrer im Tschad hat es einmal, als noch alle Schulbücher im Lande aus Frankreich kamen, sehr schön formuliert: “Irgendwas stimmt nicht mit den Karten. Sie sind so bleich, so fahl. Man könnte meinen, sie seien krank.”

[Le Monde diplomatique: La cartographie, entre science, art et manipulation]
[Le Monde diplomatique: Der Kartograf und seine Welten]

Radsternfahrt 2006, Fr. 22.9. Wien

Radsternfahrt 2006 Banner
Quelle: wien.gruene.at

Der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr in Wien krebst schon lange bei drei bis fünf Prozent herum. Die Stadt unternimmt leider zu wenig, um dies zu ändern. Dabei bietet Radfahren viele Vorteile. Radfahren ist praktisch, gesund, billig, schnell, benötigt wenig Verkehrsfläche und macht Spaß. Radfahren verringert Staus und die Luftbelastung.

Von sieben Treffpunkten in den Wiener Außenbezirken führt die Fahrt bis zum Karlsplatz. Nach einer gemeinsamen “Ehrenrunde” um den Ring findet die Sternfahrt beim Fest in der Josefstädterstraße ihren Abschluss. Komm auch hin und radel mit uns für ein umweltfreundlicheres Wien.

[Link]