Von der Wiki- zur Omnipedia

Welche Artikel sind es wert, in die Wikipedia aufgenommen zu werden. Welche erfüllen die erforderlichen Voraussetzungen nicht? Wer legt die Kriterien zur Bewertung der Relevanz von Themen fest?

In den letzten Wochen ist es zu teils sehr emotionalen Debatten über die Kriterien und Methoden gekommen, nach denen in der deutschen Wikipedia Artikel für aufnahmewürdig befunden werden. Vorherschend dabei ist ein Schwarz-Weiß-Denken: die so genannten Inkludisten befürworten die Aufnahme möglichst aller Lemmata, die Exkludisten hingegen fürchten um die Qualität und würden die Wikipedia gerne nach dem Vorbild einer klassischen Enzyklopädie gestalten.

So verhärtet die Fronten zwischen den beiden Anschauungen auch sein mögen, liegt der Ausweg aus diesem Dilemma wohl in einem Mittelweg. De facto wird es niemandem gelingen, eine allgemeingültge Definition für die Relevanz von Artikeln zu entwickeln. Was also bleibt, ist eine Personalisierung der Wikipedia; jeder muss die Möglichkeit haben, die für ihn optimale Version der Online Enyklopädie zu wählen oder bei Bedarf sogar eine eigene Version anzubieten.

So ist schon in den letzten Wochen bei vielen Leuten der Wunsch nach einem Fork der Wikipedia aufgekommen. Problem dabei ist, dass eine solche Spaltung des Systems von MediaWiki nicht unterstützt wird; ein Fork würde mit einer kompletten Trennung aller Inhalte einher gehen. Wesentlich sinnvoller scheint ein verteilter Ansatz, bei dem die Wiki-Software soweit verändert wird, dass sie die gegenseitige Aktualisierung von Artikeln in unterschiedlichen Wikipedia-Versionen unterstützt.

Einen naheliegenden Ansatz um dies zu erreichen, hat vergangene Woche Tim Weber vorgeschlagen. Durch den Einsatz der Versionsverwaltugslösung Git soll die dezentrale Verwaltung unterschiedlicher Versionen der Wikipedia unterstützt werden. Ziel ist es, pro Sprachvariante künftig beliebig viele “Geschmacksrichtungen” der Wikipedia (eine allgemeine, eine wissenschaftliche, eine für Nerds etc.) anbieten zu können.

Unabhängig von der aktuellen Diskussion wäre dies meiner Meinung nach eine konsequente Weiterentwicklung des Konzepts der gesichteten und geprüften Artikel, die ja auch bereits eine Art Versionierung einführen. Bei der konkreten technologischen Umsetzung bestehen verschiedene Möglichkeiten: von einer “integrierten Lösung” mit nur einem User Interface bis hin zu einem gentrenten Deployment der einzelnen “Repositories” wäre alles denkbar.

So besteht die Hoffnung, dass die Wikipedia durch die bisher nicht besonders konstruktiv geführte Debatte um die Relevanzkriterien doch noch eine positive Entwicklung erfährt.

[netzpolitik.org: Relevanzkriterien: Wikipedia-Verein lädt zur Diskussion nach Berlin!]
[Announcing Levitation: Wikipedia into Git]
[Chaosradio 151: Die Wikipedia-Debatte]
[Medienradio 14: Plomplom]

Kollaboration und Politik

1980: Ökologie. 2009: Internet. So prägnant und treffend hat der deutsche Journalist, Blogger und Podcaster Philip Banse letzte Woche in einem Tweet jene gesellschaftspolitische Entwicklung zusammengefasst, die in den letzten Monaten zu beobachten ist. Es geht um den Wandel der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Besonders deutlich zum Ausdruck gekommen ist dieser Wandel im Rahmen zweier Themen: der deutschen Zensursula-Debatte und dem Prozess der Grünen Vorwählerschaft in Wien.

Im Januar 2009 gab die Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt, dass die deutsche Bundesregierung plant, in Zusammenarbeit mit den großen Internetprovidern und durch den Einsatz einer Sperrliste den Zugriff auf kinderpornographische Inhalte einzuschränken. Greift ein Internetbenutzer auf eine Webseite zu, deren DNS-Name sich auf dieser Sperrliste befindet, wird ihm ein Stoppschild mit verschiedenen Warnhinweisen angezeigt; mit einem weiteren Klick gelangt er dennoch zur ursprünglich aufgerufenen Seite.

… es wäre so, als ob man die Straße zu einem Banküberfall sperrt, statt dass die Polizei zur Bank fährt.

Mit solchen Vergleichen (hier aus einer bei einer Demonstration, die am 20. Juni in Berlin stattgefunden hat) versucht die Internetgemeinde zu veranschaulichen, welch absurden Prozess die geplante Filterung der Webseiten darstellt. Durch bloßes Ausblenden wird Kinderpornographie nicht verhindert, sondern toleriert. Warum verfolgt die Exekutive die Anbieter dieser Inhalte nicht? Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur hat gezeigt, wie einfach das sein kann1. Ist die Kinderpornographie nur ein Vorwand um im Internet ungehindert eine Zensurinfrastruktur errichten zu können?2

Interessant ist nun, wie sich der Widerstand gegen die geplanten Zensurmaßnahmen organisiert hat. Während die etablierten Oppositionsparteien aus Angst, sie würden dadurch in der öffentlichen Darstellung in ein pädophilenfreundliches Eck gedrängt, davor zurückgeschreckt sind, sich eindeutig zu deklarieren, formierte sich im Internet unter dem Schlagwort „Zensursula“ der Widerstand. Soziale Netzwerke wurden als Diskussionsplattform und zur Organisation verschiedener Gegenmaßnahmen genutzt. In einer Petition gegen Internetsperren sprachen sich über 130.000 Menschen öffentlich gegen die geplanten Maßnahmen aus.

Eine ähnliche Bewegung abseits der institutionalisierten Politik ist im Rahmen der Grünen Vorwahlen auch in Wien zu beobachten. Auf Initiative von Jana Herwig, Helge Fahrnberger und Martin Schimak gestartet, basiert die Idee der Grünen Vorwahlen auf einem Statut der Wiener Grünen, demzufolge erklärte Unterstützer und Unterstützerinnen der Partei nach Viermonatsfrist ein Stimmrecht auf Landesversammlungen erhalten. Ziel ist es, die Grünen zu öffnen und möglichst viele Sympathisanten zu motivieren im November 2009 bei der Wahl der Liste für die Gemeinderatswahl 2010 teilzunehmen. „Damit dann die „Besten“ und „Fähigsten“ im Landesparlament sitzen.“ (Quelle).

Spannend ist nun, welche Reaktionen die Grünen Vorwahlen ausgelöst haben. Anstatt sie als große Chance zu erkennen, befürchten Teile der Wiener Grünen offensichtlich eine feindliche Übernahme der Partei. Dies ist insofern mehr als nur traurig, da die Wiener Grünen mit dem Unterstützungsstatut auf eine Entwicklung vorbereitet wären, die meiner Meinung nach das Potential hat, die politische Entscheidungsfindung in den nächsten Jahren von Grund auf zu revolutionieren.

In diesem Kontext kommt dem Kommunikationsdienst Twitter eine besondere Rolle zu. Anders als die zahlreichen interaktiven Freundschaftsbücher, die sich vor allem dadurch auszeichnen die bestehenden Dienste des Web (Mail, Instant Messaging, Fotogalerien, etc.) zu integrieren, hat Twitter ein neues Paradigma der Internetkommunikation etabliert. Erstmals steht eine Plattform zur Verfügung, bei der die publizierten Inhalte und deren Kommentare (anders als z.B. bei Weblogs) den gleichen Stellenwert einnehmen. Anders als bei einem Chat sind die Diskussionsbeiträge persistent, d.h. verlinkbar. Diese und weitere Eigenschaften (Kürze der Inhalte, mobile Nutzung, etc.) sind es, die Twitter zu einem optimalen Werkzeug zur Abwicklung kollaborativer Entscheidungsprozesse machen.

Bereits seit geraumer Zeit existieren im Internet Dienste, deren Stärke auf der Mitarbeit vieler einzelner Personen beruht. In einem Vortrag erklärt Clay Shirky anschaulich, welche Stärken kollaborative Systeme im Unterschied zu institutionalisierten Arten der Zusammenarbeit haben. Eindrucksvoll lässt sich dies beispielsweise am Beispiel Flickr illustrieren. Der größte Teil der Bilder auf Flickr wird nicht von professionellen Fotografen erzeugt, wie sie etwa bei klassischen Nachrichtenagenturen beschäftigt sind. Es sind die Bilder derjenigen, die mit ihrer Kamera zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, die die Qualität von Flickr ausmachen. Wollte man mit einer klassischen Institution eine ähnliche Qualität erreichen, würde dies die Kosten für deren Organisation ins Unermessliche steigen lassen. Ähnliche Beispiele sind die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die Videoplattform YouTube oder die zahlreichen Open Source-Softwareprojekte.

Was wir nun im Rahmen politischer Initiativen wie der Zensursula-Debatte oder den Grünen Vorwahlen erleben, ist der Einfluss, den der Siegeszug kollaborativer Systeme auf politische Entscheidungsprozesse hat. Anders als bisher, ist es zur Erreichung politischer Ziele heute nicht länger nötig, sich parteipolitisch zu engagieren. Plattformen wie Twitter ermöglichen es, Interessensgruppen kollaborativ zu organisieren. Institutionen wie Parteien oder ähnliche Interessensvertretungen verlieren an Bedeutung. Jeder Bürger hat nun die Möglichkeit, sich aktiv für jene Themen einzusetzen, die ihm am Herz liegen.

Im Kontext dessen sollte es im Interesse der etablierten Parteien sein, jene Bewegungen zu unterstützen, die dazu beitragen möglichst viele Bürger in die politische Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.

1980: Ökologie. 2009: Internet. 1980 sind auf Basis der ökologischen Bewegung die Grünen Parteien entstanden. 2009 wird es keine neue Institution mehr sein – auch nicht die Piratenpartei. Vielmehr stehen wir an der Schwelle zu einer gänzlich neuen Form der Zusammenarbeit innerhalb unserer Gesellschaft. Spannende Zeiten!

1 Dieser Aspekt ist nur einer von vielen, die gegen die Notwendigkeit von Zensurmaßnahmen sprechen. Eine Zusammenfassung der Argumente gegen die Netzsperren findet sich beispielsweise in einem Netzpolitik-Artikel von Lutz Donnerhacke.
2 Erfahrungen aus anderen Ländern legen diese Vermutung nahe. Auf der dänischen Sperrliste findet sich z.B. die URL einer niederländischen Spedition.

[AK Zensur: Löschen statt verstecken: Es funktioniert!]
[Lutz Donnerhacke: Die dreizehn Lügen der Zensursula]
[Christian Stöcker: Die Generation C64 schlägt zurück]
[Medienradio: MR005 Zurück ins Netz!]
[Clay Shirky: Institutions vs. Collaboratio (Video)]

Die Fackel online / ANNOwiki

Titelblatt
Quelle: Die Fackel online

Nachdem sie in diesem Jahr den Status der Gemeinfreiheit erlangt, ist die Kulturzeitschrift, die von dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus von 1899 bis zu seinem Tode 1936 herausgegeben wurde, seit letzter Woche auch online frei zugänglich.

Am 1. April 1899 gründete Karl Kraus die Zeitschrift Die Fackel. In der Vorrede zur Fackel sagte er sich von allen Rücksichten auf parteipolitische oder sonstige Bindungen los. Unter dem Motto „Was wir umbringen“, das er dem reißerischen „Was wir bringen“ der Zeitungen entgegenhielt, sagte er der Welt – vor allem der der Schriftsteller und Journalisten – den Kampf gegen die Phrase an und entwickelte sich zum wohl bedeutendsten Vorkämpfer gegen die Verwahrlosung der deutschen Sprache.

Trotz obligatorischer Registrierung, ist die Umsetzung, die die Österreichische Akademie der Wissenschaften für die Digitalisierung der Fackel gewählt hat, vorbildhaft für ähnliche Projekte. So ist das gesamte Werk (22.500 Seiten) nicht nur als Scan-, sondern auch in einer Plaintext-Version abrufbar, und damit auch durchsuchbar.

So hat etwa die Österreichische Nationalbibliothek im Rahmen des Projekts ANNO (Austrian Newspapers Online) bereits im Jahr 2003 damit begonnen, zahlreiche historische österreichische Zeitungen zu Digitalisieren und sie online zugänglich zu machen. Obwohl schon seit Beginn des Projekts auch eine Text-Version angekündigt ist, stehen die Zeitungen nach wie vor nur in der Scan-Version zur Verfügung. Nachdem dies, mangels Suchfunktion, das Auffinden von bestimmten Inhalten sehr mühsam macht, habe ich bereits im letzten Jahr mit der Idee gespielt, ein kollaboratives Projekt zu starten, das die Umwandlung der Texte in eine reine Textform zum Ziel hat. Zu diesem Zweck hatte ich unter dem Titel ANNOwiki bereits eine eigene Webseite online gestellt. Einen besonderen Reiz hätte dieses Projekt meiner Meinung nach besonders durch die Möglichkeiten, die sich durch das zusätzliche Tagging, bzw. die Kommentierung der Texte ergeben. Falls sich ein paar Interessenten finden, könnte man diese Idee aber durchaus wiederbeleben.

[Die Fackel online]
[ANNOwiki]

Fotografiert Kai Diekmann!

Unter dem Titel “Leser-Reporter” ruft das deutsche Boulevardblatt “Bild” seine Leser seit einiger Zeit dazu auf, Fotos von potentiell “interessanten” Dingen zu machen und diese der “Bild”-Redaktion zur Verfügung zu stellen. Das Hauptziel der Hobbypaparazzis sind Prominente in ihrem Privatleben. Geködert werden die “Leser-Reporter” mit Prämien in einer Höhe von bis zu 5000 Euro.

Um nun den verantwortlichen Chefredakteur auf die rechtliche und ethische Problematik dieser Aktion hinzuweisen, hat sich der Bildblog einen interessanten Versuch einfallen lassen:

Deshalb unser Aufruf: Werdet BILD-Chef-Reporter, fotografiert Kai Diekmann – egal, ob am Nebentisch oder auf der anderen Straßenseite. Sagt’s Euren Freunden und Bekannten weiter (insbesondere denen, die auch Freunde und Bekannte von Kai Diekmann sind oder Freunde und Bekannte von Kai Diekmann kennen), schickt die Schnappschüsse an 4141@BILDblog.de21* – und denkt bitte immer daran: Die Arbeit von Rettungsdiensten oder Polizei darf nicht behindert werden.

[Link] (Danke Gerold!)

Realitätsverweigerung made in U.S.


Quelle: backspace.com

Auf der Webseite der Newsweek sind die Titelblätter der verschiedenen “Regionalausgaben” des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins zu sehen. Während für die europäische, die asiatische und die lateinamerikanische Ausgabe ein Artikel mit dem Titel “Losing Afghanistan” zur Topstory auserkoren wurde, ist auf dem Titelbild der US-Edition eine Frau mit ihren drei Kindern zu sehen: “My Life in Pictures” (Screenshot).

[via Fefe]

Subjektive Karten

La carte géographique n’est pas le territoire. Elle en est tout au plus une représentation ou une « perception ». La carte n’offre aux yeux du public que ce que le cartographe (ou ses commanditaires) veut montrer. Elle ne donne qu’une image tronquée, incomplète, partiale, voire trafiquée de la réalité. Voilà de quoi sonner le glas des illusions de cette partie du public qui lit la carte comme un fidèle reflet de ce qui se passe sur le terrain.

Anlässlich der Erscheinung des neuen Atlas der Globalisierung findet sich in der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique ein wunderbarer Artikel von Philippe Rekacewicz: La cartographie, entre science, art et manipulation. In der deutschen Ausgabe ist der Artikel unter dem Titel Der Kartograf und seine Welten erschienen.

Anhand zahlreicher Beispiele beschreibt Rekacewicz die politische Bedeutung von Landkarten. So kam es beispielsweise im Jahr 2002 auf einer Wirtschaftskonferenz in Prag zu regelrechten Tumulten, als dem aserbaidschanischen Vertreter eine Karte vorgelegt wurde, in der Bergkarabach als Teil Armeniens eingezeichnet war. Erst nach einigen Stunden konnten die Verhandlungen fortgesetzt werden.

Bei der Umweltministerkonferenz der UN im Februar 2001 unterbrachen die Vertreter der Volksrepublik China eine Plenarsitzung und verließen vor den ungläubig staunenden Delegierten den Saal. Sie boykottierten die weiteren Verhandlungen, weil Taiwan auf einer Karte und in einem Arbeitspapier als unabhängiger Staat auftauchte. Und sie kehrten erst wieder zurück, nachdem die beanstandeten Dokumente aus dem Verkehr gezogen waren.

Karten lügen (immer)! So lässt sich der Schluss Rekacewicz’ zusammenfassen. Sie lügen, weil sie, schon allein aufgrund der geographischen Verkleinerung, bestimmte Details verschweigen. Oft ist es aber auch nur politisches Kalkül, wenn Karten nicht den geographischen Tatsachen entsprechen. So schildert Philippe Rekacewicz etwa eindrucksvoll, mit welchen Überaschungen er und einige andere französische Kartographen konfrontiert waren, als sie nach dem Mauerfall 1989 Ostdeutschland besuchten.

Zu unserer Orientierung hatten wir nur ein paar alte topografische DDR-Karten. Aber die waren so falsch, dass wir so gut wie nichts von dem, was wir vor Augen hatten, auf ihnen wiedererkannten. Auf einem zehn bis zwanzig Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze fehlten alle wesentlichen geografischen Bezeichnungen – Straßen und Dörfer, ja die gesamte Infrastruktur, alles, was auch nur irgendwie der Orientierung hätte dienen können.

Andere Karten hingegen lügen nicht, weil sie verscheigen, sondern weil sie verfälschen. So sind Karten heutzutage ein sehr beliebtes Machtinstrument. Die “… heutigen Mächte in Wirtschaft und Politik – Staaten, große Lobbygruppen, internationale Konzerne und Organisationen – bedienen sich ihrer umstandslos, arrangieren hier und da die Wirklichkeit, um ihre Macht zu festigen oder uns ihre Sicht der Dinge einzuprägen”. Und nicht zuletzt spiegeln Landkarten natürlich auch die sehr verschiedenen Weltanschauungen wieder.

Betrachtet man die Afrikakarten, insbesondere die in Europa produzierten, fallen als dominierende Farbeindrücke ein sanftes Ockergelb und ein Dunkelgrün auf: die trockene, staubige Savanne und der dichte Regenwald auf Äquatorhöhe. Ein Gang über den Markt von Ouagadougou oder Bamako genügt jedoch, um den tatsächlichen Farbenreichtum Afrikas zu erfassen. Ein Lehrer im Tschad hat es einmal, als noch alle Schulbücher im Lande aus Frankreich kamen, sehr schön formuliert: “Irgendwas stimmt nicht mit den Karten. Sie sind so bleich, so fahl. Man könnte meinen, sie seien krank.”

[Le Monde diplomatique: La cartographie, entre science, art et manipulation]
[Le Monde diplomatique: Der Kartograf und seine Welten]

Radiotipp: Küchenradio 63 “Kaminers Schweigen” (mp3)

Und wieder einmal ist den Leuten vom Küchenradio eine ganz wunderbare Sendung gelungen (mp3).

Der Russendisco-Erfinder und Schriftsteller Wladimir Kaminer kennt keine Fiktion. Er versucht von seinen realen Urlaubserlebnissen auf Ibiza und im Kaukasus zu erzählen. Er erklärt wie sich Weinpulver von echtem Wein unterscheidet, erzählt aus seinem Hippie-Leben in der SU und schenkt dem Küchenradio-Team seltene Momente kollektiven Schweigens.

[Link]

TV-Tipp: Dieses Jahr in Czernowitz, Di 8.8. 22h45 ARD

Familie in Czernowitzer Garten
Quelle: Polyfilm

Im Westen der Ukraine nahe der Grenze zu Rumänien liegt Czernivzi, eine entlegene Stadt in der Mitte Europas. Früher hieß sie Czernowitz und gehörte als Hauptstadt des Kronlandes Bukowina zur österreichisch-ungarischen Monarchie. In Czernowitz lebten Menschen verschiedener Nationalitäten, Sprachen und Kulturen miteinander: Ukrainer, Rumänen, Deutsche, Huzulen. Beinahe die Hälfte der einst 150.000 Einwohner von Czernowitz waren Juden. Nur wenige von ihnen überlebten die von Deutschen und Rumänen 1941 verordnete Deportation in die Lager Transnistriens.

Die im vergangenen Jahrhundert aus der Bukowina geflüchteten Juden haben Exil in vielen Teilen der Welt gefunden. In ihren Familien wirken die Erinnerungen an Menschen, Lebenswelten und Landschaften nach. Mit Emigranten und Kindern von Emigranten kehrt „Dieses Jahr in Czernowitz“ dorthin zurück.

[Link]

Political correctness in österreichischen Medien

Wer gedacht hat, der journalistische Stil der Kronen Zeitung ist nicht mehr zu unterbieten, sei hiermit eines Besseren belehrt. In den Obersteirischen Nachrichten von Freitag, 21. Juli 2006 war folgender Artikel zu lesen.

Neger versuchte Pensionistin zu vergewaltigen
St. Michael: Gegen 12:50 drangen gellende Schreie der 83-jährigen Juliana W., die sich nach einem Schlaganfall nur im Rollstuhl fortbewegen kann, durch das Haus Hauptstraße 37. Ein Afrikaner war durch das offene Küchenfenster in die im Parterre gelegene Wohnung eingestiegen. Anschließend warf er die völlig hilflose Frau im Vorzimmer auf den Boden, entkleidete sie und wollte offensichtlich einen Geschlechtsverkehr vollziehen. Durch die Hilferufe aufgeschreckt eilte der Unterkunftgeber, der 65-jährige Harlad P. vom ersten Stock ins Freie und konnte durch das Küchenfenster, die am Boden liegende Pensionistin sehen. Sogleich schrie der Mann nach seiner Frau, die von der Wohnung ins Parterre lief und die Wohnung aufsperrte. Sodann sah sie die zum Teil entkleidete am Boden liegende Pensionistin und den Neger, der die Frau vergewaltigen wollte. Der vor dem Küchenfenster stehende 65-jährige Pensionist schrie sodann laut in die Wohnung. Aus diesem Grund ließ der Afrikaner von der Pensionistin ab, rannte vom Vorraum in die Küche und sprang durch das offene Küchenfenster ins Freie. Beim Versuch des 65-jährigen den Täter festzuhalten, stieß ihn dieser zu Boden und flüchtete anschließend in Richtung B 113. Der Pensionist wurde durch diese Attacke leicht verletzt.
Die 83-jährige Frau, die auch an Alterdemenz leidet, hat durch das rasche Eingreifen ihrer Nachbarn keine Verletzungen erlitten. Sie wurde nach dem Vorfall im LKH Leoben ambulant behandelt.
Täterbeschreibung nach Aussage der Zeugen: Ein Neger, ca. 25-35 Jahre alt, ca. 170-180 cm groß, schlank, eher schmale Lippen, kein Bart und keine besonderen Merkmale. Bekleidung: braune Hose und ein orangebraunes Kurzarm-T-Shirt.
Hinweise an die PI St. Michael in der Steiermark: 059/133/606320

Jetzt könnte man vielleicht meinen, diesen Artikel hat ein 85-jähriger Journalist verfasst, dem entgangen ist, dass die Verwendung des Begriffs “Neger” heutzutage eindeutig rassistisch zu werten ist. Nach der Lektüre der Antwort auf den Leserbrief einer zurecht empörten Leserin vom 28. Juli wird allerdings klar, dass dieser Artikel wohl einer tieferen politischen Einstellung der Redaktion der Obersteirischen Nachrichten entsprungen ist.

Politische Unkorrektheit beim Bericht: „Neger versuchte…“
An die Obersteirische Nachrichten Redaktion:
In Ihrer Ausgabe vom 21. Juli findet sich auf der Seite 31 ein Bericht mit dem Titel „Neger versuchte Pensionistin zu vergewaltigen“.
Auch wenn es sich bei dem Vorfall um ein schlimmes Verbrechen handelt, kann man sich als Leser dennoch eine objektive, sachliche und politisch korrekte Beschreibung des Ereignisses erwarten. Der Ausdruck „Neger“ ist eine rassistische und minderwertige Bezeichnung eines Menschen schwarzer Hautfarbe und erinnert an das furchtbare Verbrechen der Sklaverei und des Völkermordes welche EuropäerInnen und NordamerikanerInnen an den AfrikanerInnen verbrochen haben. So gesehen ist ihre Wortwahl menschenverachtend, menschenrechtsverletzend, rassistisch und xenophob. Des weiteren frage ich mich, ob Sie österreichische Straftäter auch als bleichgesichtig mit typisch schmalen Lippen bezeichnen?
Petra Wlasak

Sehr geehrte Frau Wlasak!
Lieber Gutmensch!
Sie tun mir echt Leid, da sie als Kind wahrscheinlich schwer krank waren und daher längere Zeit in der Schule gefehlt haben dürfen. Ein Neger (abgeleitet von der wissenschaftlichen Apostophierung „negrid“ oder „negroid“) ist nicht eine rassistisch minderwertige Bezeichnung eines Menschen schwarzer Hautfarbe. Sie dürften aus Unwissenheit Nigger mit Neger verwechseln. Aber machen sie sich nichts daraus, denn nobody is perfect. Ein Neger (dabei kann es sich um einen Afrikaner oder aber auch Amerikaner handeln, keinesfalls aber um einen Eskimo! Pardon, um nicht wieder unkorrekt u sein, natürlich Inuit), ca. 180 cm groß, schlank mit schmalen Lippen, so heißt es eben in der Fahndungsbeschreibung der Polizei.
Und überhaupt zwängt sich in mir der fürchterliche Verdacht auf, dass sie als Gutmensch dem Täter, einem Neger eben (oder einigen wir uns auf Mohr), mehr Sympathie entgegenbringen, als jener querschnittgelähmten Frau, welche „ihr smoothly“ Afrikaner zu vergewaltigen versucht hat.
Liebe Frau Wlasak! Sollten sie weiter Löcher in ihrem offensichtlich zartem Allgemeinwissen zu stopfen haben, scheuen sie sich nicht und schreiben mir, einem schmallippigen und bleichgesichtigen Reporter!

Ich pack’s nicht! Das einzige konstruktive Argument in dieser Antwort, dass man ja nur die Fahndungsbeschreibung der Polizei übernommen habe, wird von Walter Sauer in einem weiteren Leserbrief ad absurdum geführt.

Es erscheint mir auch kaum glaublich, daß laut Ihrer Aussage der problematische Begriff in der von ihnen zitierten Fahnungsbeschreibung der Polizei enthalten ist. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wäre dies ein Verstoß gegen das Rundschreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 24. Jänner 1994 (Zl. 51 381/4332-II/2/94), das die Verwendung des Ausdrucks “Neger” im Behördenverkehr der Polizei ausdrücklich verbietet.

Aber was soll man schon von einer Zeitung erwarten, die in ihrem Impressum als Tendenz angibt, heimatlich und überparteilich zu sein!

[via Forum Politikwissenschaft]

Das Medium Karte

Zeit-Karte:
Quelle: Die Zeit

In einem Telepolis-Artikel beschreibt Nils Zurawski den Umgang unserer Gesellschaft mit dem Medium Karte. Viel zu oft kommen Karten heute zur reinen Darstellung, nicht aber zur Analyse zum Einsatz. Dabei ist uns oft gar nicht bewusst, welche Gefahren von solchen vereinfachenden Darstellungen ausgehen.

Eine ähnliche Übersicht will auch die Zeit Online seinen Lesern liefern, in dem sie eine Weltkarte (Anm: siehe Bild) anbietet, die den vielsagenden Titel “Verbotene Zonen” trägt. Darauf zu finden sind gelb und rot markierte Länder, die über einen Klick mit einem entsprechenden Artikel verbunden sind. Der Einleitungstext für diesen Service ist bereits vielversprechend:

Verbotene Zonen – Das Auswärtige Amt warnt vor Ländern, in die Deutsche lieber nicht reisen sollten. Wohin? Warum? Eine interaktive Grafik klärt auf.

Die Welt als Gefahrenherd. Die Karte konstruiert globale No-Go-Areas, eine Aufklärung liefert sie jedoch nicht und auch die verlinkten Artikel lassen jede Menge Fragen offen. Eine Sicht auf die Welt, die andere Interpretationen nicht zulässt und eine zweifelhafte Orientierung verschafft.

Ebenfalls sehr weiterzuempfehlen ist der im Artikel verlinkte Aufsatz, den Ralf-Peter Märtin in der Zeit über Gerhard Mercator geschrieben hat.

[Telepolis: Mit Karten die Welt(en) verstehen]
[Die Zeit: Der Herr der Karten]