“Sprüh a Wolkn”

In seinem im heutigen Standard veröffentlichten Artikel “Mein erstes Schragel” berichtet Radek Knapp über die Erfahrungen, die er – damals erst seit kurzem in der Stadt – als Jugendlicher mit der Wiener Sprache gemacht hat.

In Wien begriff ich aber, dass mein Problem nicht nur im Erlernen der deutschen Sprache bestand, sondern darin, dass man in Wien gar nicht Deutsch sprach. Ich werde nie vergessen, als ich mich einmal in ein Gasthaus in Ottakring verirrte und gleich an der Schwelle den mysteriösen Satz hörte: “Sprüh a Wolkn!”

An den Gesichtern, die diesen Satz gerade fallen ließen, erkannte ich eines. Es war keine Aufforderung, eine Wolke mit einer Spraydose zu bearbeiten, sondern das Lokal recht flott wieder zu verlassen. Von da an staunte ich, wie viele Ausdrücke es in dieser traditionell gastfreundlichen Stadt gab, die einen zum Sich-Entfernen auffordern.

Zum Beispiel “Schlag a Wöhn”. Ins Deutsche übersetzt “Schlag eine Welle” bedeutete das Gleiche wie eine Wolke sprühen. Eine “Welle nicht zu schlagen” wäre sehr töricht, sollte diese Aufforderung im Bezirk Favoriten ausgesprochen worden sein. Stark im Kommen ist übrigens wieder das gute alte: “Hau di iba d’Heisa”. Wahrscheinlich, weil es so arabisch klingt. Da kam mir ein “Moch an Servas” dagegen eigentlich schon recht elegant rüber. Ganz zu schweigen von solchen Evergreens wie “Schleich di”, “Drah di” oder “Geh bodn”.

(“Der Standard”, Print-Ausgabe, 29. Dezember 2007)

Osteuropäische Sprachen

Titelblatt
Quelle: Amazon

Im Rahmen der “Enzyklopädie des Europäischen Ostens” hat der, für die hohe Qualität seiner Veröffentlichungen bekannte, Kärntner Wieser-Verlag einen Band auch den Sprachen dieses riesigen Kulturraums gewidmet. Das von Milos Okuka zusammengestellte “Lexikon der Sprachen des Europäischen Ostens” steht auf den Seiten der Alpen-Adria Universität Klagenfurt auch online zur Verfügung.

[Link]

Robert Gernhardt 1937-2006

Portrait: Robert Gernhardt
Quelle: Chapeau Rouge

Eines Tages geschah es Kant,
daß er keine Worte fand.

Stundenlang hielt er den Mund
und er schwieg nicht ohne Grund.

Ihm fiel absolut nichts ein,
drum ließ er das Sprechen sein.

Erst als man ihn zum Essen rief,
wurd’ er wieder kreativ,

und sprach die schönen Worte:
“Gibt es hinterher noch Torte?”

(Robert Gernhardt)

[sueddeutsche.de: Robert Gernhardt ist tot]

Deutsche Sprache, schwere Sprache


Quelle: Project Gutenberg

Deutsch ist schwer.
Das kann ich beweisen, bitte sehr!
Herr Maus heißt zum Beispiel Mäuserich.
Herr Laus aber keineswegs Läuserich.
Herr Ziege heißt Bock,
aber Herr Fliege nicht Flock.
Frau Hahn heißt Henne,
aber Frau Schwan nicht Schwenne.
Frau Pferd heißt Stute,
Frau Truthahn Pute,
und vom Schwein die Frau
heißt Sau.
Und die Kleinen sind Ferkel.
Ob ich mir das merkel?
Und Herr Kuh ist gar ein doppeltes Tier,
heißt Ochs oder Stier,
und alle zusammen sind Rinder.
Aber die Kinder
Sind Kälber!
Na, bitte sehr,
sagt doch selber:
Ist Deutsch nicht schwer?

Mira Lobe

[Mark Twain: The Awful German Language]
[Ö1 Radiokolleg: Nachrichten aus der Nussschale]

Jiddische Texte

Tevje der milchiger
Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

Auf den Seiten der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main finden sich etwa 800 jiddische Bücher aus den letzten fünf Jahrhunderten. Neben Klassikern wie Scholem Alejchems Tevje der milchiger (Übrigens mein Lieblingsbuch!) und religiösen Texten, finden sich in der Sammlung auch ganz praktische Fibeln wie Über die Pflichten der jüdischen Frau mit Anleitungen zum Umgang mit der Menstruation. Nur das hebräische Alphabet sollt’ man halt fließend lesen können! ;)

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Der Sprachdemonstrant Andrej Dynko

Mahnwache in Minsk
Quelle: Радыё Свабода

Einer derjenigen, die letzte Woche bei den Demonstrationen in Minsk verhaftet wurden ist der Publizist Andrej Dynko. Am letzten Donnerstag ist in der Frankfurter Rundschau einer seiner Texte aus dem Sammelband “Sarmatische Landschaften” erschienen: Reise ans Ende der Welt.

Larysa Linkievic, Bibliothekarin aus Kirau, hat eine Strahlendosis von 650 Becquerel pro Kilogramm abbekommen. Mehr als 200 hat Doktor Bandažeuski als lebensgefährlich bezeichnet. Das haben die Ärzte Larysa auch gesagt, haben ihr abgeraten, ein Kind zur Welt zu bringen, haben eine Abtreibung empfohlen. Sie hat nicht auf sie gehört. Ihre Tochter wächst und gedeiht, ist ein gesundes Mädchen, und auch Larysa ist gesund – sie war noch nie krank in ihrem Leben. Pilze? Beeren? “Essen wir natürlich!”, erzählt Larysa mit seltsamer Würde. Sie ist der Meinung, sie sei an die Strahlung “angepasst”.

Ein Portrait der Zeitung Наша Ніва (“Unser Flur”), deren Chefredakteur Andrej Dynko ist, findet sich in der FAZ. Interessant auch der Eurozine-Artikel “Die Nation als Nebenwirkung der Opposition“, in dem Alexandre Billette und Jean-Arnault Derens auf das Verhältnis der weißrussischen Nation zur belarussischen Sprache eingehen.

Russisch bestimmt das öffentliche und gesellschaftliche Leben – jedenfalls in den Großstädten. Lukaschenko, dem auch immer wieder weißrussische Wörter in sein Russisch hineingeraten, erklärte unterdessen, dass es nur zwei Sprachen gebe, die den Bedürfnissen der modernen Welt entsprächen: Russisch und Englisch.

[Frankfurter Rundschau: Reise ans Ende der Welt]
[FAZ: Der Sprachdemonstrant]
[Eurozine: Die Nation als Nebenwirkung der Opposition]
[Eurozine: “Arche” Redakteur in Minsk verhaftet]